namen der inuit

Die traditionelle Namensgebung der Inuit geht weit über die individuelle Benennung einer Person hinaus. Anders als in der westlichen Welt, wo der Rufname ein Leben lang bleibt und jemanden kennzeichnet, haben Inuit grundsätzlich mehrere Namen: Einen, der sich auf die Herkunftsfamilie bezieht; einen, der die Verbindung zu ‚Seelenverwandten’ anzeigt; einen, der nicht ausgesprochen wird; einen, der sich nicht in westliche Sprachen übersetzen lässt und eine Verwandtschaft mit einer unverwandten Person definiert; einen, der selbstgewählt ist, usw.

In manchen Inuitskulpturen kann dieser kulturspezifische Aspekt entdeckt werden. Die vielen Gesichter in Lucy Tasseors Skulpturen spiegeln einerseits Familienbande, andererseits aber auch das stets wandelnde Geflecht an Beziehungen in einer Gemeinschaft, das durch den Namen erst entsteht und gebunden wird.

Namen besitzen in der arktischen Gesellschaft eine spirituelle Qualität. Sie bezeichnen nicht eine Person, sondern die Beziehungen einer Person mit ihrer Umwelt. Darin unterscheidet sich ein Inuitname von einem westlichen Namen. Er ist nicht das gleichbleibende 'Etikett', das einen Mensch für immer benennt, sondern ein dynamisch wechselndes Phänomen, mit dem sich sein Träger in stetig wechselnden Bezugsrahmen frei verbindet.

In einem bewegenden Artikel beschreibt Peter Irniq die persönliche Geschichte seines Namens, die für diesen Newsletter übersetzt wurde:

Die wichtige Bedeutung unsere persönlichen Namen 
kommentiert von Peter Irniq (Ernerk/Erneck/E3-546)

«Ich wurde als Peter Ernerk geboren, benannt von einem Oblatenpriester namens Vater Henry, der bei Inuit unter dem Namen Kajualuk bekannt war. Als ich 1958 zum ersten Mal zur Schule ging, nannte mich mein Lehrer Erneck. Dann wurde ich E3-546, durch die 'Governement of Canada Eskimo Identification'- Nummer. So war ich eine Zeit lang 'Peter E3-546'.

Ich trage auch noch einen anderen Namen, Taqtu. Dieser Name ist nicht gut bekannt, weder die Missionare, die Hudson Bay Company noch die Lehrer haben ihn je aufgeschrieben. Aber mein Vater und meine Mutter nannten mich so, nach einer Frau, die von der Pujjuut-Familie stammte. Pujjuut und mein Vater waren Cousins. Pujjuuts älteste Tochter hiess Taqtu. In meiner Kultur waren wir immer als Taqtuuqatigiik bekannt. Meine Mutter nannte sie nie beim Namen, sondern nannte sie immer Taqtuuqatiit – deine «Kameraden-Taqtu». Die englische Sprache kennt Beziehungen dieser Art nicht, daher ist das Wort, das am nächsten kommt «Kameraden-Taqtu». So nennen wir manchmal die anderen Inuit unserer Gemeinschaft, um sie aus Respekt nicht bei ihrem Namen zu nennen.

Tagtuuqatiga war mit John Kaunak verheiratet. Deshalb ist John Kaunak mein «arnaqatiga», mein Cousin. Obwohl wir biologisch nicht verwandt sind, haben wir uns immer als Cousins verstanden. John gehört zur Verwandschaft von Irniq, nach der ich benannt bin. Im Alltag verhalten wir uns daher so, als seien wir verwandt, und durch unseren Namen sind wir es auch.

Unsere Namen erlauben es, uns mit Menschen zu verbinden, die nicht unsere biologischen Verwandten sind. Unsere Namen haben ihren Ursprung in unserer Kultur und Sprache. Unsere Namen sind unsere Bezugspunkte zur Vergangenheit. Um 1946 oder so, bevor ich geboren wurde, träumte meine Mutter von jener ‚Irniq’ von Igloolik. Sie erzählte uns oft von unserer Kultur. Irniq war im Traum offenbar ein kleiner Mann, er war verkrüppelt und hinkte. Meine Mutter erzählte, ihr Traum sei so real gewesen, als sei sie wach gewesen. So nannte sie mich, als ich geboren wurde, Irniq. Obwohl ich also nicht mit den Nachkommen von Irniq in Igloolik verwandt bin, fühle ich mich mit vielen von Irniqs biologischen Verwandten verbunden.

Wie wichtig ist es nun, dass man den eigenen Namen richtig nennt und ausspricht? Sagt es uns jetzt, denn wenn meine Generation weg ist, wird niemand unter den Inuit mehr über die wahre Bedutung von Inuitnamen Bescheid wissen. Als ich in der westlichen Tradition mit den Namen Ernerk oder Erneck oder E3-546 erzogen wurde, war ich nie auf nur einen davon stolz. Als ich den Namen aber wieder zu Irniq änderte, war es kraftvoll, denn ich habe letzlich meinen Namen wieder in Besitz genommen. Ich habe mir meine Kultur und Sprache zurückgeholt. Mein Name ist zurückgekommen und alle Geister mit ihm. Und wisst ihr was, ich hatte nie mehr von meiner Mutter geträumt seit sie 1971 starb. Gegen Ende 2001 habe ich wieder von meiner Mutter, Irene Katak und meinem Vater, geträumt. Endlich hat sie ihren Irniq zurück! Es ist Zeit, dass wir Inuit unsere Ahnennamen zurückfordern. Sie sind die Grundlage unserer Kultur und Sprache

©JB, Inuitgalerie, 2017
Zitiert und übersetzt aus: above&beyond, März/April, 2002.

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